Archive for the ‘theorie’ Category

Über die Unmittelbarkeit hinaus und zurück. Skizzen zur Kritik der virtualisierten Realität.

24. Februar 2020

 

neuewelt

Jegliche technologische Errungenschaft sollte nicht einzeln und fragmentiert, sondern als Ensemble eines gesamtgesellschaftlichen Verhältnisses verstanden werden

Es gibt heutzutage eine äußerst starre Gegenüberstellung zwischen Virtualität und Realität, die allzu oft verschiedenen Auseinandersetzungen mit dem Internet und moderner Technologie im Allgemeinen begleitet. Die kurzen Texte Revolutionäre Repräsentation und digitale Solidarität“ (2017) und „Digitales, Reales und Repräsentation“ (2019) sind beide Ausdruck davon. Insbesondere letzterem Text gilt diese Replik, zumal ich zum ersten Text bereits eine Kritik geschrieben habe: „Einige Gedanken zur repräsentierten Wirklichkeit“ (2017). (more…)

[Montasgedanken] Phantasie und Fantasy

24. Februar 2020

Fantasy-Welten sind wörtlich wundervoll: Sie sind voller Wunder.

Es sind fremde Welten mit Gesetzen, die sich von jenen der Realität unterscheiden. Dort gibt es Zauberei und analoge Erfüllung. In unserer Welt herrscht das dickste Bankkonto, dort der Mut der Aufrechten; hier fragt man nach einem Diplom, dort reicht ein verwegener Spruch, um sich einen Weg zu bahnen. Niemand fragt nach einem lückenlosen Lebenslauf, einem Strafregisterauszug oder nach bisherigen Betreibungen. Umherstreifende Abenteurer sind anerkannt und begehrt, sie sind keine obdachlosen Vagabunden wie hier, in den Fantasy-Welten fristen sie kein trauriges Leben zwischen Armut und Beamtenverordnung. Das Reizvolle am Phantastischen ist der Fluchtpunkt des Imaginären, das sich vor den Zumutungen des Realen zu entziehen sucht. In solchen Welten kann man seinen Vorgesetzten erschlagen – und den Bösen – oder das Böse – erkennt man an seiner äusseren Hässlichkeit. Das Korrupte kann seine Korruption nicht verbergen. Die Seele, das Wesen der Dinge zeigt sich dort am Äusseren: Im Lichte strahlt, was liebevoll ist – und Dunkelheit zeigt die Gefahr an. Der Wanderer in solchen Welten sieht sogleich, wovor er sich in Acht zu nehmen hat. Die Ambivalenz moderner Gesellschaft ist hier aufgehoben.

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Cinzia Arruzza: Verkümmerte Reflexionen. Patriarchat und Kapitalismus.

7. Januar 2020

Patriarchat und Kapitalismus werden oft als zwei Unterdrückungsformen betrachtet, die zwar autonom, aber dennoch miteinander verwoben sind. Die reduktionistische aber richtige Feststellung, dass patriarchale Verhältnisse vor dem Kapitalismus existierten, soll diese schematische Betrachtung des Verhältnisses zwischen Patriarchat und Kapitalismus untermauern. Letztere sollen, so hört man oft in anarchistisch/autonomen Kreisen, mitsamt dem Rassismus, der ebenfalls als autonomer und unabhängiger Unterdrückungsmechanismus verstanden wird, die Grundpfeiler der bestehenden Gesellschaft bilden. Wie diese drei – angeblich autonome Systeme – miteinander verwoben sind, wird meist außer Acht gelassen, obwohl richtigerweise festgestellt wird, dass keiner dieser Grundpfeiler über die anderen gestellt werden sollte. Der Weigerung die verschiedenen Unterdrückungsformen zu Hierarchisieren, ist nichts auszusetzen, doch geht sie oft mit einer mangelnden Auseinandersetzung mit der strukturellen Grundlage des Kapitalismus einher. So wird beispielsweise der Begriff „Klasse“ auf eine bloße Identität reduziert, „Ausbeutung“ überall, nur nicht in der strukturellen Aneignung der Mehrarbeit gesehen, und eine Analyse des Kapitalismus auf rein ökonomische Aspekte reduziert. Generell gibt es heute, vor allem in anarchistischen Kreisen, die Tendenz, in jeglicher Auseinandersetzung mit den Klassenverhältnissen einen Autoritarismus oder eine Rückkehr zum starren und vereinfachenden Schema vom Haupt- und Nebenwiderspruch zu wittern. Der vorliegende Text von Cinzia Arruzza kann dazu beitragen, ein wenig Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen: Arruzza bespricht und kritisiert die populärsten theoretischen Interpretationen über das Verhältnis zwischen Patriarchat und Kapitalismus. Zusätzlich legt sie ihre eigene These über ebenjenes Verhältnis dar. Aufmerksame Zuhörer*innen und debattierfreudige Menschen werden im Verlauf des Textes bemerken, dass viele Argumente kritisiert werden, die oft von Linksreformist*innen über Linksextreme bis zu Anarchist*innen gleichermaßen reproduziert werden. Cinzia Arruzza ist Teil des Redaktionskollektivs des marxistischen „Viewpoint Magazine“, Professorin für Philosophie an der New School for Social Research in New York sowie feministische und sozialistische Aktivistin. Sie ist Autorin des Buches »Dangerous Liaisons: The Marriages and Divorces of Marxism and Feminism.« Der Originaltext erschien im Jahr 2014 auf Italienisch auf: http://www.communianet.org.

Übersetzung: Mariana Lautréamont.

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Zur Verteidigung der Simulationstheorie

12. Dezember 2019

Und hier ist ein Gastbeitrag, als Antwort auf die Montagsgedanken mit dem Titel „Die Menschheit – eine Computersimulation?“.

«Was, wenn (theoretisch) die Leistungen der Computer eines Tages dem Schöpfungspotential nahe kommen, das sie die Macht (theoretischer) Götter hätten? Wie gesagt, die Frage ist zu dumm, um sie ernst zu nehmen. Aber es ist eigentlich zu schrill, um nicht darüber lachen zu müssen: Die Nerds phantasieren sich das Göttliche herbei.»
Aus [Montagsgedanken] Die Menschheit – eine Computersimulation?

Ich bin einer dieser Nerds! Hallo Publikum! Als grosser Montagsgedanken und Science Fiction Fan (ich bin grade an der 19. Staffel Star Trek dran) komme ich natürlich nicht drumherum, hier die Idee der Simulationstheorie zu verteidigen! Ich bin kein Physiker, nicht mal Programmierer sondern einfach einer, der, wenn er nicht am Bier trinken, schlafen oder malochen ist, alleine vor dem Computer hängt und sich komische Gedanken macht! Und vielleicht mache ich mich hier nun selbst lächerlich, da ich diese Hypothese nochmals beschreibe und eben nicht als Gefängnisprogramm sondern als mögliche Erklärung des Ursprungs allen Seins überhaupt verstehe. Es gibt da natürlich noch andere Theorien, z.B. dass das Universum ein Hologramm ist. Desto mehr wir über dieses Universum wissen, desto abstruser werden die Theorien!

G. Hinkebein.

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[Montagsgedanken] Kunst oder Kulturindustrie?

25. November 2019

Über einen Widerspruch, der keiner ist.

Die Filme von Pasolini oder von Michael Bay?

Herr der Ringe oder Ring der Nibelungen?

Das Streichquartett oder die Viererkette in der Abwehr?

Heavy Metal oder Blasorchester?

Die Kastelruther Spatzen oder Rage Against The Machine?

Kunst sei elitär, die Kulturindustrie für den Pöbel, so die gegenseitigen Vorurteile. Es gibt eine lange Tradition, Kunst und Kulturindustrie nicht nur voneinander getrennt zu sehen, sondern als oppositionelle Kräfte. Am Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es zwar wenige, die auf der Trennung beharren, aber immer noch viele, welche die Trennung als einen Akt des Willens begreifen möchten. und nicht als eine Verteilung gesellschaftlicher Funktionen.

In der überkommenen Wahrnehmung wurde seichte Unterhaltung elitärer Kunst gegenüber gestellt. Kulturindustrie schaffe die massenhafte Verbindung, den kleinsten gemeinsamen Nenner ohnmächtigen Bewusstseins und die Träume fiktiver Welten, egal ob diese den eigenen Alltag bestätigen, verfluchen, verdrängen oder überwinden. Hier gehe es um den Affekt, den Instinkt, der nach Befriedigung giert. Auf der anderen Seite – jener der Kunst – regiere das Zeitlose, Ewige, das Bildung, Aufmerksamkeit und die Bereitschaft intellektueller Stimulation erfordere, um geschätzt zu werden.
Banal runter gebrochen: Hier Gefühl der Masse und dort Intellekt des Einzelnen.

[Selbstverständlich sei hier auch nochmal auf Pepes wunderbaren –  wissenschaftlichen – Text zur Kulturindustrie hingewiesen.]

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[Montagsgedanken] Mensch und Maschine

5. August 2019

Müssen wir uns vor Maschinen fürchten?
Ja und nein. Aber die damit einhergehenden Bilder verraten mehr über die Gesellschaft, in der wir leben, als ihr lieb ist.

Elon Musk tut es, Stephen Hawking hat es auch getan: Vor der Künstlichen Intelligenz gewarnt. In der Literatur und im Film findet es regelmässig statt: Szenarien von einer Übernahme der Maschinen.
Zeitungsberichte erzählen uns regelmässig von den nächsten Neuerungen, welche die Forschung gemacht hat. Robotik, Kybernetik, Transhumanismus, Neuronale Netzwerke – solche Themen sind nicht mehr nur einem kleinen Kreis von Wissenschaftlern vorbehalten. Sie füttern das Bedürfnis nach einer Vertiefung mit den damit zusammenhängenden Fragen und nähren gleichzeitig diffuse Ängste. In den Blockbustern tauchen sie regelmässig auf: die Maschinen, die ein eigenes Bewusstsein entwickelt haben und sich auflehnen und der Menschheit den Krieg erklären.

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[Montagsgedanken] Es knistern die Zeiten …

22. Juli 2019

Wem das Knistern der Platte, das Rauschen zwischen Radiosendern abhanden gekommen ist, darf es sich als Gimmick zurückholen. Nicht mehr als eine Interferenz der Technik, sondern als ein kundenorientiertes Anschmeicheln. Wie bei den künstlich zerrissenen Jeans, dem Shabby-Look des Mobiliars oder durch Fotoreisen nach Tschernobyl – die Gegenwart überdeckt sich mit einer sorgsam eingearbeiteten Patina der Vergangenheit. Kundenzufriedenheit ist uns wichtig.
Über den Unbill solches Retro-Stils wurde viel gelästert, und zu Recht. Der Ausverkauf und die ostentative Darstellung des Geschichtlichen ist aber nicht bloss billige Kaufmasche. Sie ist auch Symptom einer Zeit, die sich nicht mehr im Einklang mit der eigenen Gegenwart befindet.
In dem Sinne ist sie das Warenäquivalent falscher Nostalgie, die Rückkehr in eine „gute, alte Zeit“, wo Männer noch Männer waren, Schwarze eine sprachlose Unterrasse und Frauen fickbare Waschmaschinen. Ah, wie einfach doch die Vergangenheit damals war …
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[Montagsgedanken] From Seefeld to Obernberger See

15. Juli 2019

Es gibt wenige Orte, die so grausig sind wie Seefeld in Tirol. Es besteht aus überdimensionierten Hotels, kitschigen Ferienhäusern, gleichgeschalteten Souvenirshops und Golfplätzen. Das Schwimmbad heisst Strandperle, obwohl der See, in dem man badet, in einer Sumpflandschaft liegt, wo es weit und breit keinen Sand gibt. Die Eichhörnchen sind zutraulich und verhungern in der Zwischensaison, weil sie verlernt haben, sich selbst mit Nahrung zu versorgen. Die Hotels versuchen, mit architektonischen Tricks kleiner auszusehen als sie sind, und bestehen aus allerhand Stilen von Irgendwieromantisch bis zum sogenannten „modernen Alpenstil“ und strahlen nichts aus, ausser, dass Gewinnsucht oft in Hässlichkeit endet. Sie besitzen weder die Gemütlichkeit echter Hütten oder Bauernhäusern, denen sie nacheifern, noch die Eleganz der Hotelpaläste vom Anfang des 20. Jahrhunderts, welche inzwischen alle abgerissen wurden.

Das Hochplateau in den Bergen, auf dem Seefeld liegt, wird heutzutage im Allgemeinen als sehr schön wahrgenommen. Die Berge haben diese Wandlung in den letzten 200 Jahren durchgemacht, vom Ort der Bedrohung hin zum Ort der Sehnsucht, der Erholung. Darauf sind die Tiroler stolz. Dieser Stolz wird nicht geschmälert dadurch, dass es zuerst vor allem Engländer, dann Deutsche und später andere fremde Maler und Dichter waren, welche ihnen die Schönheit ihrer Welt erklärten. Für einen normalen Bergbauer hiess das Leben in den Bergen vor allem harte Arbeit, tagein tagaus, um dem kurzen Sommer irgendwas abzutrotzen. So ist der starke Glaube an die katholische Kirche, welcher Tirol bis heute prägt, nicht Ausdruck von Charakterfestigkeit, sondern von Angst und dem Bewusstsein, den Gewalten der Natur völlig ausgeliefert zu sein. Wer konnte, zog weg.

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[Montagsgedanken] Hohl die Erde, flach der Mensch

8. Juli 2019

Man kann sich nicht aussuchen, auf welcher Seite der Erde man steht, ausser man behauptet sie als Scheibe. Wie jenes wohl aussähe, was befände sich auf der anderen Seite – solche Fragen sollte man den Flacherdlern bevorzugt nicht stellen. Es gibt ein Oben und ein Unten, und bezeichnend für den Sprecher ist, dass er sich immer für den oben und nie für den unten hält (das ist weniger dem Narziss geschuldet als hundsfotziger Mittelschichtsideologie). Für den Alltag ist die Frage nach der Form der Welt freilich unwichtig. Einigen läuft es halt rund, die Anderen haben es glatt.
„Which side are you on?“, fragte Pete Seeger – und das frage man auch hier.

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[Montagsgedanken] Schweine, Würstchen: Männlichkeit

24. Juni 2019

Schwein, Würstchen oder doch vegan? Konsumierbare Männlichkeit

Der 14. Juni und der Frauenstreik haben vor kurzem stattgefunden. Allein in Zürich sind bis zu 140’000 auf den Strassen gewesen. Es gab und gibt viele Möglichkeiten, sich als Mann dabei einzubringen. Direkte Solidarität, organisatorische Mithilfe, Zurückstehen in den bedeutenden Momenten. Aber Männer müssen auch mal dringend die eigenen Zerrbilder von Männlichkeit hinterfragen.

Das soll hier mal versucht werden, ein bisschen glossenhaft, ohne Anspruch auf Tiefgründigkeit.

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