Archive for the ‘Fortsetzungsgeschichte ohne Namen’ Category

Es gibt kein Leben in Flaschen. Dialektik der Ausleerung I

29. Mai 2018

Im Treppenhaus war ein Treiben, Kommen und Gehen, dass man davon kirre werden konnte. Besonders als emeritierter Professor der Philosophie. Überall standen Zügelkartons herum. Die Frankfurter versuchten, sich in ihrer Wohnung zu verbarrikadieren. Doch es war sinnlos. Einerseits sind die Wände zu dünn, man hörte jedes Wort der neuen WG-Nachbarn. Andererseits mussten sie, wenn die Post kam, ja doch auf dem Max-Horkheimer-Pfad einen Weg durch den Zügelkartondschungel finden, um an der Haustüre den neuesten Blauen Band der MEW in Empfang nehmen zu können, aufgeregt wie Schulkinder, die am Kiosk die neueste BRAVO kaufen.
Doch allen Widerständen des Systems, der Kulturindustrie und des totalen Verblendungszusammenhanges zum Trotz, begann sich sanft das Leben zu regen in der WG der Kritischen Theoretiker. Den Tag voller Sonnenschein und Energie begrüssend, öffnet sich vorsichtig die zarte Knospe des junggebliebenen Lebens, um sich im Genuss der Sonne, begleitet von Richard Straussens Also Sprach Zarathustra zur vollen Blüte zu entfalten. Blüten, zur Sonne, zur Freiheit! (more…)

Have heart, will travel

5. Mai 2017

Mein Herz schlägt laut in meiner Hand. Ich hatte es mir zuerst herausgerissen, weil darauf herumgetrampelt wurde und es zerquetscht zu werden drohte.

Dann machte ich Kinder. Nun lief mein Herz erst recht ausserhalb von mir und nackt durch die Welt. Ich rannte hinterher.

Ah, es ist gar nicht mein Herz. Es ist Das Herz und wurde mir geliehen. Ich hab es aber lieber angeschrien. Dass es immer noch schlägt, stur einen Takt vorgibt, zu dem ich nicht tanzen mag. Warum nur wurde ich geboren? Ich kann mir auch noch mehr rausreissen! Wo hört das denn auf!?

Ich höre. Mein Herz schlagen. Und bin Zuhaus.

Fortsetzungsgeschichte ohne Namen – Teil II

13. Januar 2010

Während der Heimleiter schnell zur Krankenschwester eilte, um die tiefe Wunde an seinem Arm behandeln zu lassen, nahm eine der Betreuerinnen Hubert mit sich, um ihn den anderen Kindern seiner Altersstufe vorzustellen. Kaum hatten sie das Spielzimmer betreten, verstummten die kleinen Jungen und Mädchen – sie spürten instinktiv die bösen Schwingungen, die von Hubert ausgingen; einige der Kinder brachen gar spontan in Tränen aus. Während die Betreuerin versuchte, sie zu trösten, schaute sich Hubert neugierig um. Er sah Kisten mit Spielzeug, Mobiles, die von der Decke hingen, lustige Plakate an den Wänden und, hinten in der Ecke, einen Käfig auf einem Tisch stehen. Sein Interesse war geweckt und kirchernd näherte er sich, bis er einen guten Blick hinein erhilt: Auf einem Grund aus Katzenstreu, zwischen Stroh und einem kleinen Hüttchen aus Sperrholz bewegte sich ein Hamster in der gewohnt nervösen Weise seiner Art, knabberte Futterkörner aus einem Geschirr und guckte schnuppernd zwischen den Gitterstäben hindurch. Nie zuvor hatte Hubert ein solches Tier gesehen, denn seine Eltern hatten sich aus naheliegenden Gründen keine Haustiere mehr zugelegt, seitdem ihr Sohn, kaum des Krabbeln fähig, den geliebten Familien-Goldfisch aus dem Aquarium geholt und hinuntergeschluckt hatte – unter den Augen der entsetzten Mutter, die zu spät kam, um ihn aufhalten zu können. Als dem Ersatzgoldfisch dasselbe Schicksal gebüht war, hatten die Eltern die Konsequenzen gezogen.
Jetzt aber kletterte Hubert, gänzlich unbeaufsichtigt von der beschäftigten Beteuerin, auf den Tisch und sah sich den Käfig genauer an. Das arme Tier darin, das ahnte, was für eine Kreatur es ins Auge gefasst hatte, verzog sich in den hintersten Winkel. Hubert tastete die Struktur aus Draht ab und erkannte schnell, wie er das eingehängte Türchen öffnen konnte. Er langte hinein und packte den armen Hamster.
Die Betreurin hörte das erbärmliche Quietschen des Nagetierchens und wandte sich endlich zu Hubert um – sie sah, dass er das verzweifelt strampelnde Wesen mit beiden Händen an sich gedrückt hielt und wie wild lachte.

Fortsetzungsgeschichte ohne Namen – Teil I

1. Januar 2010

Die frühe Kindheit
Hubert war schon von Geburt an ein bösartiges Kind, das wusste mit seinem Körper umzugehen. Bei der Geburt biss er, ohne dass Zähne vorhanden waren, mit dem reinen Kiefer der Hebamme in den Finger. Eines Tages entschloss die Mutter, Hubert nur noch mit der Flasche zu stillen, da die milchgebende Brust bereits grossen Schaden davongetragen hatte. Dies besserte sich auch später nicht, als Hubert älter wurde und die Zähne ausgewachsen waren: die Eltern trugen Narben an den Armen mit sich herum, welche die Kontur Huberts Gebisses aufwiesen.
Auch gegenüber anderen Kindern war Hubert feindselig gestimmt. Im Sandkasten biss er zwar nicht, dafür benutzte er die Schaufel um in dem Moment als kein Erwachsener zuschaute, seinem Spielkameraden eins überzuziehen. Denn clever war Hubert durchaus. Er wusste genau, welche Folgen seine Taten hatten und er wusste, wann er zuschlagen durfte und wann nicht. Wieso er so böswillig gestimmt war, konnte er sich selber nicht erklären, die Gewalttätigkeiten passierten einfach und er versuchte auch gar nicht, sie zu verhindern oder moralisch zu hinterfragen.
Huberts Mutter war nahe vor einem Nervenzusammenbruch und auch der Vater zeigte immer mehr nervöse Anzeichen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam und seine Frau weinend in der Küche vorfand, mit erneut blutender Hand. Hubert hockte meist daneben und schaute den Vater unschuldig an. Eigentlich hätten sie sich ein Mädchen gewünscht, würden sie später fast entschuldigend zu ihren Freunden sagen.
Als Hubert vier Jahre alt war, hatten die Eltern genug. Sie fuhren mit ihm zum nächstgelegenen Kinder- und Jugendheim und gaben ihn dort ab. Mit so einem aggressiven Kind konnten sie nicht umgehen. Der Abschied war entsprechend. Mutter weinte, Vater seufzte und Hubert biss dem Heimleiter in den Arm und lachte dabei schelmisch.

To be continued