Posts Tagged ‘Burgtheater’

Burgschauspieler und Dilettantismus

17. Februar 2017

Die Burgschauspieler sind kleinbürgerliche Popanze, die von der theatralischen Kunst Kunst nicht die gerinste Ahnung haben und die aus dem Burgtheater längst ein Siechhaus ihres dramatischen Dilettantismus gemacht haben.
[…]
Und die Joana hat zeitlebens von einer Ballerinenkarriere an der Oper geträumt, schliesslich von einer gefeierten Burgschauspielerin, die sie hatte werden wollen; sie ist zeitlebens nichts als eine tanzende und schauspielernde Dilettatin, sozusagen privatunterrichtende Bewegungstherapeutin geblieben.
[…]
Im Grunde habe er, der John, von dem von der Joana so genannten Bewegungsstudio nichts gehalten, wäre schon gleich im ersten Moment der Überzeugung gewesen, dass es sich bei diesem sogenannten Bewegungsstudio nur um eine Möglichkeit der Joana handelte, sich
über Wasser zu halten, persönlich, wie er sich ausdrückte, geistig, finanziell sei aus dem Bewegungsstudio in der Simmeringer Hauptstrasse nichts herauszuholen gewesen, es seien auch nur mehr oder weniger mittellose Leute zur Joana in dieses Bewegungsstudio gekommen, junge angehende Schauspieler, ältere dilettierende Theaterleute, die noch mit fünfzig und mit sechzig an eine Karriere glaubten, die aber überhaupt keine Aussicht, nicht die geringste Chance auf eine solche Karriere mehr gehabt hätten naturgemäss.
[…]
Und wir empfinden es als nichts anderes, als eine gemeine Unerträglichkeit, dass dieser Mensch, den wir so lange verehrt, wenn nicht gar wirklich geliebt haben und der uns sozusagen die Augen und die Ohren für alles und also die ganze Welt, und vor allem für die künstlerische Welt geöffnet hat, am Ende eine so miserable eigene Kunst gemacht hat, einen fürchterlichen Dilettantismus betrieben hat selbst, während er ununterbrochen nur von dem
höchsten und von dem allerhöchsten Anspruch gesprochen und uns selbst in diesem höchsten und allerhöchsten Anspruch gelenkt und erzogen hat so viele Jahre.
[…]
Durch ihren eigenen Dilettantismus hat dich die Jeannie hintergangen und betrogen, sagte ich mir, während ich zuschaute, wie sie jetzt auch voller Abneigung und Hass, das über sich ergehen liess, das der Burgschauspieler noch immer zum besten gab, zurückgelehnt in seinem Sessel wie die Anderen, darauf wartend wahrscheinlich, wie ich dachte, dass die Auersberger die doch schon steife und starre Tischgesellschaft auflösen und in das Musikzimmer zurückbitten wird.
[…]
Fahren Sie hin, wo Sie wollen, sagte er, gehen Sie in die Mailänder Scala oder in die Metropolitan Oper in New York oder gehen Sie in das Londoner Nationaltheater oder in die Comédie Française, alles nichts gegen Wien, alles letztenendes stümperhaft, dilettantisch, das ist die Wahrheit.
[…]
Nein, nein, sagte der Burgschauspieler, ein dilettantisches, ein abgeschmacktes Theater wird in Deutschland gespielt, letzenendes ein dummes Theater, in das die Deutschen schon immer vernarrt gewesen sind. Hilflos und dilettantisch ist das deutsche Theater immer gewesen, das ist die Wahrheit.

Thomas Bernhard, „Holzfällen“