Die Zeitschrift „Anarquía y Comunismo“, erscheint seit dem Jahr 2014 in Chile und ist Online unter https://anarquiaycomunismo.noblogs.org/ als Pdf erhältlich. Die folgende Übersetzung stammt aus der Herbstausgabe dieses Jahres.
Der Wunsch unser aktuelles Leben zu verwerfen, um es gegen ein anderes umzutauschen ist heutzutage Teil unseres Alltagsverstandes. Egal ob wir uns dabei das Leben anderer Menschen wünschen oder eine vollkommen neue Lebensform anstreben, die passive Akzeptanz des Bestehenden prallt meistens gegen die verallgemeinerte Unzufriedenheit die die durch-kommerzialisierte Menschheit bedrückt. Der tägliche Verkehr innerhalb dessen unser Leben stattfindet, kann als ein Kommen und Gehen zwischen unserem Zuhause und den Zentren der Produktion und des Konsums zusammengefasst werden. Diese verschiedenen Orte innerhalb derer sich der proletarisierte Mensch bewegt, verkörpern die Zerteilung seines Lebens: Die Haushalte wurden für immer mehr Schichten innerhalb der Bevölkerung zu Nischen der Ruhe und der Gefangenschaft… wahre Haftanstalten für die Erholung des Menschen. Wenn der Mensch arbeitet, tut er dies nicht im Einklang mit seinen Bedürfnissen, sondern im Einklang mit den Bedürfnissen der Warenproduktion. Die Arbeit ist nur ein Mittel, um einen Teil der menschlichen Bedürfnisse zu decken. Letztere gehören ebenfalls zu den Sphären des Marktes. Die Zeit zur Erholung und Entspannung, in denen der Mensch endlich Zeit für sich und andere hat (von denen er aufgrund der bestehenden Verpflichtungen und Entbehrungen getrennt wird) verbringt er meist vor dem Bildschirm oder mit dem sonstigen Konsum von anderen Waren. Somit bewegt sich auch die Gestaltung der Freizeit innerhalb derselben Mechanismen wie der Rest der sozialen Verpflichtungen des Menschen: Auf die Pflicht zur Unterhaltung folgt, anhand der Pflicht zur Produktion, die Beschränkung der eigenen Zeit und Energie.
Die Zeit zwischen diesen verschiedenen Orte, sprich neben den Orte der Produktion und denen der Freizeit, verbringt der Mensch innerhalb von Transportmitteln, also innerhalb von Maschinen die der Zirkulation von Arbeitskräfte und Ware dienen. Diese Strecken der Zirkulation werden vom Kapital selbst zur Verfügung gestellt. Die physische Nähe der zusammengepferchten Menschen, steht im Gegensatz zu ihrer tatsächlichen Isolation. Die Menschen sind dazu gezwungen sich zu begegnen, aber dennoch meiden sie sich gegenseitig, was die gemeinsame Isolation nur noch augenfälliger macht. Die Bedingungen die sie zu dieser Zusammenpferchung zwingen, sind dieselben die sie isoliert halten. All dies ist das Ergebnis einer einzigen Tatsache: Der Mensch wird auf die Rolle des Trägers von Arbeitskraft reduziert. Die fehlende Selbstbestimmung im Leben zeigt sich auch auf emotionaler Ebene in zwischenmenschlichen Beziehungen z. B. in der Apathie und der fehlenden Kommunikation mit denjenigen Menschen mit denen wir einen Wohnraum teilen; in der Konkurrenz und dem Streit auf der Arbeit, wo jede/r Mitarbeiter*in als potentielle Denunziant*in im Dienste der Bosse gilt; in der Neurose und der Abhängigkeit die unsere romantischen Beziehungen durchziehen und in den endlosen und gescheiterten Versuche unsere Isolation zu durchbrechen. Versuche denen es nicht gelingt echte kameradschaftliche (im Spanischen wird das Wort „Kameradschaft“ oft von Linken und Anarchst*innen verwendet, Anm. d. Ü.) Beziehungen aufzubauen. Was die modernen Sklaven eint, ist die Trennung und diese widerspiegelt sich auch auf emotionaler Ebene, in dem anhand der Reproduktion der Trennung, die zwischenmenschlichen Beziehungen verkümmern. In unserer Epoche schmücken die Apathie, die Langeweile und die Frustration die Gefühle all derer, die in befriedeten Komfortzonen leben. Der Rest der Welt lebt im Elend, lebt unter den schlimmsten Bedingungen wo Ausbeutung, Hunger und Krieg den Alltag bestimmten.
Trotz der verallgemeinerten Sinnlosigkeit die unsere Epoche kennzeichnet, gibt es im Alltagsverstand der Menschen ein Gespür für diese allgemeine Unzufriedenheit: jedes Mal wenn sich Menschen über die Stumpfsinnigkeit des Arbeitsalltags beschweren, jedes Mal wenn mensch sich fragt wie schnell eine weitere Woche oder sogar die gesamte Jugend vorbeizieht, die so schnell vorbeigeht, dass lediglich ein Paar wenige wirklich gelebte Momente in Erinnerung bleiben. Das Problem liegt darin, dass die Menschen ihr Elend und dass all der anderen, auf das persönliche Versagen reduzieren, oder auf eine ungerechte und zufällige Chancenverteilung. So verharrt mensch in der Logik des Erfolgs und des Komforts und interpretiert das Bestehende als unausweichliche Konstante der menschlichen Existenz.
Wir denken jedoch, dass das bestehende Elend nichts ewiges ist und dass das was uns diese Gesellschaft als „das Beste“ verkaufen will (Erfolg, Glück, „Liebe“ usw.), das existenzielle Elend lediglich zementiert. Mehr noch: Wir verstehen die Lohnarbeit, das Geld, die Polizei, die Waren, die Klassen, der Statt usw. als zentrale Ursachen des ganzen Elends. Wir denken, dass die inhaltliche Armut unseres Lebens das direkte Ergebnis der aktuellen Existenzbedingungen ist, die die Selbstbestimmung des Lebens verunmöglichen. Wenn wir folglich unser Leben zurückfordern wollen, um das Elend zu überwinden, müssen wir die materiellen Wurzeln des Bestehenden zerstören, sprich die Totalität der bestehenden Ordnung.
An diesem Punkt ist die Erwägung unseres Verständnisses über das Gegebene und über die Art und Weise wie die Revolution mit ebendiesem brechen kann essenziell. Die nicht Beachtung dieser Reflexion führte die letzte Generation der Kämpfe dazu, den zentralen Kern des Kapitals nicht zu kritisieren. Vielmehr tendierten die Kämpfe dazu, lediglich die Verwaltung der Gesellschaft verändern zu wollen. Solch eine Perspektive beherrscht bis heute die Ambitionen vieler Leute die sich für die soziale Revolution aussprechen. Wir möchten den guten Willen solch einer Perspektive nicht bestreiten, doch wir denken, dass das Verständnis des Kapitals und dessen Überwindung in vielen Kreisen beschränkt und oberflächlich ist, denn die revolutionären Ansprüche dieser Perspektiven berühren kaum die fundamentalen Säulen der kapitalistischen Zivilisation.
Innerhalb dieses Panoramas das von Passivität und Verwirrung beherrscht wird, bestehen wir darauf, dass die Reflexion über dass was den Kapitalismus ausmacht und die Art und Weise wie eine Revolution diesen beenden kann, kein Spezialgebiet einer Gruppe Theoretiker*innen ist. Wer dies nicht so sieht, legt lediglich seine eigene Demagogie offen zu Tage und versteht die Praxis und das Denken als getrennte Momente. Wir wollen die Ausbeutung beenden die unser Leben durchdringt und denken dass zu diesem Zwecke unsere Kritiken und unsere Praxen verschärft werden müssen. Wenn wir in diesem Sinne Fensterscheiben zerstören in denen die Waren zur Schau gestellt werden und wir zugleich versuchen den Ursprung derselben zu verstehen, dann tun wir dies aus derselben Notwendigkeit heraus: Die Notwendigkeit die Diktatur der Waren und des Staates zu negieren, um die Dringlichkeit einer menschlichen Gemeinschaft zu bestärken, d. h. um einen Anfang einer echten und bewussten Geschichte der Menschheit zu bestärken.
Wenn wir uns organisieren suchen wir keine Nischen, um vor dem täglichen Elend zu flüchten. Wenn wir handeln dann, weil wir zwei Optionen sehen: entweder wir organisieren uns, um das bestehende Elend der Menschheit zu überwinden oder wir fügen uns demselben mitsamt der ganzen Misere und der Resignation die damit einhergehen.
Wird denken, dass der Kapitalismus das Reich der Trennungen ist das uns vom Leben spaltet. Der Kommunismus und die Anarchie hingegen, müssen die Überwindung dieser Trennungen sein, sie müssen die Übernahme des eigenen Lebens sein, sie müssen die kollektive Verwirklichung der Individuen sein. Wir sehen keine andere Möglichkeiten:
Kommunisierung oder Misere!
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