Es ist wieder Weihnachten und das heisst, wir wollen uns an diesem Tag auf das besinnen, was Weihnachten eigentlich bedeutet: Kommerz und Werbung. Also lasst uns gemeinsam inne halten und diesem wichtigen Tag gedenken, der gefühlt einen Sechstel des Jahres bestimmt und lasst uns darüber hinaus anhand einiger Beispiele in den Mechanismus der Werbung eindringen…
Die Markenwerbung als Entmenschlichung
Ein Werbeplakat bei der Tramstation Milchbuck. Es zeigt das lachende Gesicht eines jungen Mannes. Der Text dazu sagt etwas in die Richtung „Wo Marken auf Menschen treffen“, auf Englisch. Das lachende Gesicht besteht aber nicht aus Farbpunkten, sondern aus den Symbolen der Marken, ihren Signets, also ihren „brands“, die Brandzeichen unserer Zeit. Von weitem sieht es aus wie ein Mensch, aus der Nähe aber löst sich der Mensch auf: Er scheint nur wie ein Mensch, er ist eine Masse von Marken. Er trägt nicht nur das eingebrannte Zeichen der Marken, er besteht aus ihnen allein.
Es ist eine erschreckende Werbung voller Ehrlichkeit, eine Werbung, in welcher der Kapitalismus sein Menschenbild verdeutlicht. Es ist eine Werbung für Werbung selbst nebenbei, sie wirbt für ein Werbeunternehmen, also für deren Produkt, dessen Wert darin liegt, dass es für Produkte wirbt.
Diese Werbung setzt paradigmatisch ein Bild des Menschen, das bei näherer Betrachtung sich in die Bausteine auflöst, die den Menschen der Gegenwart ausmachen. Die einzelnen Markenzeichen sind chaotisch angeordnet, gross und klein und kreuz über quer. Aus der Nähe betrachtet sieht es wie der Süssigkeitensack eines Kindes aus, nachdem es an Halloween von seiner Tour durch die Nachbarschaft zurückgekehrt ist: Grell, bunt, effektheischend. Die Gegenstände sind verpackt und verborgen, nur das Markenzeichen verrät dem Kenner der Waren, welches Produkt sich hinter welchem „Brand“ versteckt. Es ist das Stillleben dieser Zeit: Die Gegenstände sind nicht mehr zu sehen, sie sind den Marken entwichen. Kein Apfel, keine Wasserkaraffe, kein knuspriger Truthahn oder eine reife Pflaume, kein Arrangement der Gegenstände, die den Hungrigen oder Durstigen in uns wecken, sondern schrille Textzüge, Markennamen, die entweder frei erfunden oder der Mythologie entlehnt sind, Farben, die aufeinander abgestimmt sind – ein Arrangement der Marken also, und nicht der Waren. Den Schokoriegel erkennt nur, wer die Marke richtig zuordnen kann. Wer die Namen der Marken und wofür sie stehen nie gehört hätte, der könnte nicht sagen, ob es sich um Waschmittel, Schokolade, Schuhe oder das Produkt eines Rüstungsbetriebes handelte. Freilich, ein solches Bewusstsein gibt es nur noch an den äussersten Ränder dieser Welt; für alle Anderen ist die Bedeutung der Zeichen und Marken klar und wofür sie einstehen. Darin steckt die unbestreitbare Totalität.
In dem massenhaften Gewusel der Marken ist keine dominanter als die andere. Sie teilen sich das Chaos untereinander auf. Erst aus der Distanz ergibt sich ein komplettes Bild, oder eben: Eine Totale. Aus diesem Gewusel des chaotischen Markenmarktes tritt das Bild des lachenden Gesichts auf: Der Mensch an sich: Jung, fröhlich. Die Marken sind in der Totale aufgehoben, ihr gegenseitiger Widerstreit, ihre Konkurrenz ist nicht mehr erkenntlich. Aber wir wissen und staunen (über den optischen Trick): Erst die richtige Anordnung der Marken ergibt den Menschen. Ein Zuviel von der einen Marke, ein Zuwenig von der anderen und das Gesicht wäre eine entstellte Fratze. Die Marken sind in einer Balance angeordnet, nur so ergibt es den Anschein des Menschlichen.
Bilder sind nicht bloss Bilder: In ihnen vermitteln sich die gesellschaftlichen Verhältnisse ebenso wie in der Praxis des Alltages – es vermittelt sich deren Ideologie. Oder in Guy Debords Worten: „Was real ist, wird gezeigt – und was gezeigt wird, ist real.“
Das Bild eines Menschen, der aus Markenzeichen besteht, sich überhaupt bloss dank der Markenzeichen zum erkennbaren Menschen zusammen setzen vermag, verweist auf die Realität, in der ein solcher Mensch ansatzweise verwirklicht und gleichzeitig begehrenswert ist (schliesslich lächelt er fröhlich). Hier zeigt sich das ideologische Narrativ und der Mythos der Verheissung, welcher den Kapitalismus ebenfalls ausmachen: Die Bilder zeigen eine mögliche Transzendenz des Gegenwärtigen ohne die Verhältnisse zu verändern. Die Tendenz, die absurd scheint (die Auflösung des Menschen in den Marken) trägt gleichzeitig ihre irrationale Erlösung: Die Bindung des eigenen Selbst an die Marken. Hier ist der Mensch NUR noch das Produkt der Marken, die in ihm enthalten sind und er ist Mensch nur noch von weitem. Was Menschsein auch immer bedeuten könnte, von dieser Frage ist er in dieser Anordnung befreit: Er muss bloss die Marken richtig anordnen um den SCHEIN von Menschsein zu geben. Nicht mehr Mensch zu sein, sondern so zu scheinen: Dies reiche aus. Solcher Art ist die Erlösung, sie befreit von der realen Schwierigkeit, die Schwierigkeit (und Komplexität) des Realen zu begreifen – und darin steckt eine entmündigende Tendenz. Dem Mensch wird das eigene Menschsein mit seinen Nöten und Herausforderungen, den (gesellschaftlichen) Problemen des Menschseins unter Menschen abgenommen – durch das Versprechen der Marken.
Die Sorge, mit der sich das Subjekt beschäftigen soll, erschöpft sich im Angebot, das eigene Selbst zusammen zu setzen aus den einzelnen Marken. Wie gelange ich an die Marken, die mein Leben, mein Ich ausdrücken und welche Marken finde ich, die mir entsprechen und mich vervollständigen – so dass ich die Marken meinem subjektiven Bildnis von mir beifügen kann?
Man kann das als übersteigerte Analyse abtun. Gut, es ist halt Werbung – so funktioniert Werbung. Man muss sich davon ja nicht beeinflussen lassen. Wer es dennoch tut, ist halt selber schuld. „Ich,“ ruft das selbstbewusste bürgerliche Subjekt empört aus, „lasse mich nicht von Werbung beeinflussen, zumindest nur so weit, wie ich es auch selbst entscheide! Ich habe mich noch nie dazu überreden lassen, etwas zu kaufen, dass ich nicht benötigte oder wollte!“
Das Inbrünstige solcher Überzeugung verkennt den Mechanismus und sucht gleichzeitig, ihn zu rechtfertigen. Der Clou ist gerade, dass wir uns die Dinge andrehen lassen, weil sie uns als begehrenswert erscheinen. Die Behauptung, dass man dies oder jenes gekauft hat, weil es nützlich oder benötigt war, dass man sich dies „gegönnt“ habe oder jenes „halt einfach wollte“ bezeugt die Irrationalität der Rechtfertigung der Täuschung. Werbung unternimmt nicht den Verkauf von Waren, die man eigentlich nicht wollte, sondern ist das Angebot eines Wollens, das durch den Kauf der entsprechenden Ware befriedigt wird. Das Fremde an den Waren erscheint nicht als ein Fremdes, als eine Monstrosität, der wir zum Opfer fallen, sondern als etwas Eigenes, als etwas, das aus uns selbst entstand. Als etwas, das wir begehren und uns wünschen erscheint solche Ware als eine Verkörperung unseres eigenen Begehrens. Nur ist dieses Begehren eben in Warenform überführt worden und die Werbung unternimmt das vermittelnde Angebot zwischen dem Begehren und seiner Warenform.
Oberflächlich betrachtet ist solche Werbung Zumutung; nur lernt man, damit zu leben. Im Verhältnis zur Werbung mischt sich Resignation wie übersteigerte Affirmation dazu. Insbesondere die Affirmation beweist durch ihre Rechtfertigung ihren ideologischen Standpunkt. „Werbung ist nötig, weil…“ – „Ohne Werbung könnten wir nicht…“ – Noch in den halb mahnenden und halb flehenden Worten des Chefredaktors, man solle doch bitte seinen Adblocker ausschalten, da das Unternehmen auf Werbung angewiesen ist blitzt etwas auf, das jenseits der Werbung ist, ein ideologisches Dispositiv, das ihr unterliegt.
Werbung und Propaganda
Der Kapitalismus hat keine Propaganda nötig, die seine Vorzüge preist und bewirbt: Die Werbung selbst ist seine Propaganda.
Solange man sich innerhalb befindet, wird die Zumutung, welche Werbung bedeutet, nicht bewusst. Verbringt man genügend Zeit an einem Ort, an welchem sich die Markenzeichen nicht präsentieren, wo keine Plakate die Landschaft durchbrechen, wo keine Liftfasssäulen, Neonreklamen, Werbeschriften, Spruchbänder ihren Inhalt anbieten, und wo keine Bildschirme permanent flirren und um die Aufmerksamkeit des Passanten flirten. Verbringt man einige Zeit ausserhalb dieser Welt und kehrt in sie zurück, schlägt es mit voller Wucht zu. Kurzfristig wird das erschreckende Ausmass fühlbar, bis sich wieder Gewöhnung einstellt.
Gewiss, die Gewöhnung ermöglicht die Distanz. Die meisten unter uns würden vehement bestreiten, dass sie „Opfer“ der Werbung wären. Man kenne die Bildsprache, man wisse Bescheid. Man könne relativieren. Doch auch eine selektive Wahrnehmung, ohne welche man wahnsinnig würde unter dieser Bilderflut, führt zu keinem Unterbruch in diesem Tanz der Bilder. In ihrer Gesamtheit prasseln sie dennoch auf uns nieder, auch wenn wir lernen, sie zu ignorieren. Die Bilder verschwinden so wenig, wenn wir sie zu ignorieren lernen, wie die Welt verschwindet, wenn das Kleinkind die Hände auf seine Augen legt.
Es besteht eigentlich nur ein geringer Unterschied zwischen den lächelnden, strahlenden Gesichter des Glücks und Erfolges in der Werbung und den lächelnden, strahlenden Gesichter der Propaganda, z.B. stalinistischer Prägung. Die vor Gesundheit und Jugendlichkeit strotzende Joggerin besitzt die gleiche Funktion wie die gesunde, stämmige Bäuerin, die ins Morgenrot blickt. Wo die Bäuerin noch direkt in ihrer Rolle als arbeitendes Mitglied der Gesellschaft Vorbild ist, versteckt sich bei der Joggerin eine Ideologie der Arbeit, gleich hinter der Werbung für den Konsum. Erstere wirbt direkt für Arbeit, gesellschaftliche Verantwortung, Fleiss oder Disziplin, während zweitere für ein Produkt wirbt, dessen Erlangen die selben Tugenden erfordert. Während ersteres gleich die Leistungen vom Betrachter verlangt, bietet zweiteres eine Ware zur Belohnung an, deren Erhalt greifbar wird, wenn der Betrachter die Leistungen erbringt. So versteckt sich die Ideologie der Arbeit hinter der Verführung des Konsumierens. Der Effekt ist der selbe, wie wenn die Arbeit selbst propagandistisch sich präsentierte: Man arbeitet hart, man fügt sich in die Erfordernisse, die mit der Arbeit im Zusammenhang stehen, das eigene unbedeutende Leben erhält Bedeutung. Freilich stimmt es, dass im Kapitalismus eine pseudo-paradiesische Belohnung am Horizont winkt: Materielle Sicherheit, Waren und Dienstleistungen – während im propagandistischen System das Subjekt zur Arbeit gedrängelt wird, bzw. sich politischer Konsequenzen aussetzt, wenn es solches verweigert. (Während das kapitalistische Alter Ego als Konsequenz seiner Verweigerung ‚bloss‘ ins Elend geworfen wird.)
Einmal wird also gelockt und belohnt, das andere mal bedroht und gestraft. Das eine mal ist es die Möhre, die vorne hingehalten wird, das andere mal die Peitsche, die von hinten nieder kracht. Das eine zieht, das andere schiebt. Die Behauptung nun, dass in dieser Anordnung Belohnung der Bestrafung vorzuziehen wäre, ist Schwachsinn. Für den Esel, welcher das moderne Subjekt ist, und der im Zentrum des Lockens und Drohens steht, spielt es keine Rolle. Den Karren zieht er und der Karren muss gezogen werden. Das ist es, was die Person auf dem Karren möchte. Jener Esel, der sich seiner Rolle bewusst ist, wird die Frage, ob es besser ist, verführt zu werden, oder bestraft zu werden, als unerheblich für sein Schicksal erkennen. Man muss schon ein Esel von einem Esel sein, um hier das eine dem anderen vorzuziehen.
Auch die Argumentation, dass – da der Esel den Karren einerlei zieht – wenigstens die sanftere Form der Überzeugung der härteren vorzuziehen wäre, hält der Überprüfung nicht stand. Denn die Möhre hängt immer vorne, dauernd liegt sie im Gesichtsfeld. Nie erreicht der Esel sie. Die Verführung trägt hier keine angenehmen Züge. Tatsächlich ist sie Teil einer tantalischen Höllenqual (wie wir hier schon einmal ausgeführt haben, Tantalos als Steigerung des Sisyphos). Ebenso kann man einwerfen, dass ein Esel, welcher die Erfahrung der Peitsche bereits gemacht hat und diese Erfahrung um keinen Preis wiederholen möchte, in einen dauernden Trott verfällt. Ein solcher Esel ist verschont von der quälenden Verführung und erduldet – vorerst und so lange er kräftig genug ist – keine Schläge. Man kann sich das eine oder das andere angenehmer reden, je nachdem, in welcher Situation man sich selbst befindet. Der Esel mit dem Zuckerbrot schüttelt den Kopf über den Esel, der mit der Peitsche im Nacken seine Arbeit verrichtet während der andere Esel sich damit tröstet, dass er nicht einem Wahn hinter her rennt. Beide halten den anderen für den wahren Esel und beruhigen sich damit, dass sie weniger Esel als der andere wären. Am anderen verurteilen sie, was sie für sich selbst nicht erkennen möchten.
Die Frage, welche Variante annehmlicher sein soll, ist Teil einer hierarchischen Ordnung, in welcher der Herr auf dem Karren seinen Willen dem Esel aufdrückt. An der Situation des Esels ändert das nichts. Was sich verändert ist die Art und Weise, wie sich der Esel in sein Schicksal ergibt.
Es gibt Esel, die bilden sich auf ihre Kraft etwas ein, solange sie jung sind. Sie halten sich für die besseren Esel. Es gibt Esel, die fürchten, dass andere, arbeitslose Esel ihnen den Posten vorne am Karren stehlen könnten. Es gibt Esel, die fürchten sich vor Esel, die eine andere Fellfarbe und einen anders klingenden Hufaufschlag haben. Es gibt Esel, die halten sich für privilegiert, weil sie immerhin einen Karren haben, vor den man sie spannt und weil sie Stroh und ein Dach am Ende des Tages haben, während die Person auf dem Bock ihnen dauernd erzählt, wie viele Esel verhungern und sich gegenseitig töten in den Eselghettos. Wie gesagt: Es macht den Esel aus, dass immer nur die anderen die Esel sind, aber nie er selbst. Immer sind die anderen die Idioten, die sich wehren sollten oder die aufhören sollten sich zu wehren, die sich anstrengen oder fügen sollten.
In diesem Sinne ist es unerheblich, ob sich Ideologie als Propaganda oder als Werbung manifestiert. Die Variation ist bloss strategischer Natur (und nicht etwa aus dem Interesse, die Situation des Esels zu verbessern, auch wenn jede Seite dies von sich behauptet) und unterliegt einem permanenten Wandel.
Die Übernahme des Sinnlichen durch das Verkaufen
Zeigen und Verkaufen sind zu ihrem jeweiligen Synonym geworden. Was gezeigt wird, wird verkauft, und was verkauft wird, wird gezeigt. Das Sehen als Sinn ist übereignet worden an den Markt und seine Kräfte. Das Sehen hat seine Macht verloren, dem Verstehen zu helfen. Sehen heisst nicht mehr verstehen – es heisst getäuscht zu werden.
Wir alle unternehmen diese Konditionierung unseres Sehens bereitwillig, ansonsten würden wir den Verstand verlieren.
Der Mensch, der z.B. vor dem Fernseher sitzt, wird innerhalb kurzer Zeit mit verschiedenen Formen konfrontiert. Auch ohne den Kanal zu wechseln – also mittels Fernbedienung jenen angenehm unangenehmen Zustand völligen Chaos eines zerhackten Bildertanzes herzustellen – sind wir am Umschalten. Innerhalb von fünfzehn Minuten sehen wir die Abendnachrichten, einen Werbeblock und dann den Spielfilm. Jedes dieser Segmente verlangt nach einer anderen Ebene der Interpretation und dennoch spielen sie sich auf dem selben Gerät vor unserem Auge ab. Den Nachrichten und ihren Bildern ordnen wir einen Realitätsgehalt zu. Diese Bilder sind „echt“ in dem Sinne, dass es sich nicht um gespielte Dinge handelt. (Sie sind es gleichzeitig natürlich auch wieder nicht, so wie Magrittes Bild von einer Pfeife eben keine Pfeife ist.) Der Werbeblock will uns verschiedene Sachen verkaufen und der Spielfilm zuletzt bietet uns den Balsam einer fiktiven Geschichte an, der wir folgen dürfen. Wir erhalten zu Anfang die Bilder, die uns den Takt vorgeben, und werden so jeweils daran erinnert, welches die Natur dessen ist, das wir sehen. Wäre die Konditionierung nicht erfolgreich, bzw. wären wir ohne diese Indizien des Sehens aufgewachsen, wir würden Mühe damit bekunden, innerhalb so kurzer Zeit umzuschalten. Warum soll das Bild eines brennenden Autos einmal Anlass für einen Schock bedeuten („Chaos in der Innenstadt“), das andere mal als Spannungselement einer Geschichte („der Held rächt sich an seinen Peinigern“) funktionieren? Warum sollte das Lächeln einmal echt und einmal falsch sein, abhängig davon ob es von einer Nachrichtensprecherin oder einer jungen, blonden Mutter mit perlweissen Zähnen kommt? Würden wir nicht, wenn wir die Werbung ernst nehmen, sofort dieses Produkt haben wollen und beschleicht uns nicht die Rührseligkeit und die Versöhnung mit der Welt, wenn wir in der Schmonzette sehen, wie alles sich zum Guten wendet?
Wie die zwei letzten Beispiele gezeigt haben, ist die Trennung niemals so klar, wie sie abstrakt scheint. Die Sehgewohnheiten verändern sich mit der Sprache des Gezeigten. Die Werbung in Zeitungen von vor hundert Jahren bringen den heutigen Betrachter zum Grinsen und innerlich denkt er sich: Wer würde auf solchen Schwachsinn reinfallen? Die Spielfilme von damals erscheinen langatmig und eine Zumutung, da die Dramaturgie nicht durch Schnittgeschwindigkeit und permanente Musikuntermalung unterstützt wird. Umgekehrt verändert sich auch die Sprache des Gezeigten mit den Sehgewohnheiten.
Der Schnitt der Hollywoodblockbuster hat sich in den letzten zwanzig Jahren beschleunigt; das frühere Product Placement wurde ergänzt durch die Schaffung merchandisetauglicher Figuren; neben den Artikeln von online Journalen stehen sponsored contents, die Werbung machen und die kaum zu unterscheiden sind von Artikeln. Die Mechanismen, wie sich das Zeigen verkauft und wie das zu Verkaufende gezeigt wird, variieren. Sie müssen sich dort erneuern, wo ihre Bildersprache veraltet geworden ist, wo das Publikum über den hundertsten Lug beginnt zu gähnen. Es spielt keine Rolle, ob es sich um Nachrichten, Werbung oder Filme handelt. Alle diese müssen sich dem Diktat der Erneuerung beugen und zu neuen Formen finden, wenn sie nicht als veraltet untergehen möchten. Diese Auslese ist alles andere als natürlich, sie ist im höchsten Masse artifiziell. Sie ist so künstlich wie sie künstlerisch ist. Das vereinende Prinzip ist jenes, dass verkauft werden muss, was gezeigt wird, und dass gezeigt werden muss, was sich verkaufen will. In diesem Sinne, wie dieses Prinzip eben nicht nur für die Werbung gilt, sondern an allen Stellen auftritt, wo das umherschweifende Sehen auf ein kontrolliertes Zeigen stösst, ist es zum sinnlichen Prinzip heutiger Gesellschaft geworden. Alles Gesehene ist zugleich Gezeigtes und als solches historisch bestimmt.
In dem Sinne ist das Gerede vom „Postfaktischen“ eine Täuschung. Die Werbung war schon seit je „postfaktisch“, bevor es dieses Wort überhaupt gab. Dass sich die Waren niemals so präsentieren dürfen, wie sie tatsächlich sind, war schon immer Teil unserer Sehgewohnheit und unserer -konditionierung. Dass ein Shampoo nicht die Fähigkeit hat, Jugend und Haar zu schenken, wissen wir. Dass kein Deodorant fähig ist, das andere Geschlecht olfaktorisch um den Verstand zu bringen, ebenfalls. Dass es keine blaue Flüssigkeit ist, die da von den Binden aufgesogen wird, auch. Wir wissen eigentlich auch, dass kein Militär dieser Welt Waffen kauft, um für „Frieden“ zu sorgen, sondern dass sie sich für Krieg vorbereiten. Dass die Polizei nicht dazu da ist, für Alle Sicherheit zu bieten, sondern das Bestehende unter Einsatz aller Mittel am Leben zu erhalten.
Die Empörung darüber, dass Politiker in ihrer Wahlkampagne lügen, um Aufmerksamkeit und Wählerstimmen zu erhalten, erscheint in dem Zusammenhang unglaublich naiv – als hätte es solches noch nie gegeben.
Die Erneuerung der Formen der Werbung haben zwar in den letzten Jahren und im Zusammenhang mit den sozialen Medien dazu geführt, dass die Unterscheidung schwieriger zu vollziehen geworden ist. Das Banale festzuhalten hiesse zu sagen, dass in einer kapitalistischen Ökonomie die Werbung aus der Warenform entsteht. Entsprechend ist jede kommerziell verfügbare Fläche der Werbung immer Teil eines Verhältnis, in dem wir uns für etwas interessieren sollen, für das wir uns eigentlich nicht interessieren. Werbung im Kapitalismus ist halt immer Ideologie – und widerspricht dem Faktischen damit automatisch schon seit jeher.
Oder anders ausgedrückt: Man muss schon ein Esel sein, wenn man sich für keinen hält, nur weil die Möhre durch einen raffinierten Bilderapparat ersetzt wurde. Der Esel, der über seine Vorfahren schmunzelt, die sich mit so einfachen Tricks haben überzeugen lassen, den Karren zu ziehen, sieht das geschichtlich Gebundene hierbei nicht. In dem Sinne ist das Gerede vom Postfaktischen der Moment dieser Generation, da sie den Mechanismus einsieht, dass auch ein raffinierter Bilderapparat bloss eine Variation der Möhre ist. Sowohl das Gespräch über Bilderapparate wie auch über Möhren macht nur Sinn wenn es im Zusammenhang mit der eigenen Stellung vor dem Karren geschieht.
Es gilt entsprechend fest zu halten, dass nicht die Möhre, die Verführung, ihre (Waren-)Form und deren Variation das Problematische sind, das es zu verändern gilt. Während wir vorwärts trotten und uns darüber aufregen, dass Werbung nicht ehrlich ist, ziehen wir den Karren, welcher nicht uns gehört. Man muss schon ein Esel sein, um sich selbst für etwas anderes zu halten…
Cetero censemus capitalismum esse delendum.
Schlagwörter: Eselei, Ideologie, Markt, Postfaktisch, Propaganda, Ware, Warenform, Werbung, Zuckerbrot und Peitsche
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