Die Betonmischerin Nautika Combrowicz gewann im Sommer den Smeaton-Preis. Ein Gespräch über prägende Eltern, überflüssige Drogen und über Kranfahrer.
Ihr Arbeitspensum ist schwindelerregend: Sie bauen Häuser, halten Reden, treten international auf Baustellen auf – und sind Direktorin der Bamberger Betonmischanstalt Konkretia, wo jährlich fast hunderttausend Tonnen Beton hergestellt werden. Wann mischen Sie selber Beton?
Frühmorgens. Ich bin ein pflichtbewusster Mensch und arbeite sehr pragmatisch. Ich setze mir ein Thema und Unterthemen, wie eine Wissenschafterin. Leichtbeton und dann Spritzbeton, zum Beispiel. Manche Leute fragen mich: „Aber macht es dir denn keine Freude?“ Doch! Betonmischerin zu sein, ist die grösste Freude – aber alles andere auch. Ich bin durchdrungen von Arbeit. Stets habe ich Mörtelkelle und Reibebrett dabei.
Wie wird man Betonmischerin?
Indem keiner sagt: „Lass es sein!“
Ihr Vater Johann-Jakob Combrowicz ist als Erfinder des konkreten Betons eine Berühmtheit. Spürten Sie daher nie Widerstände, denselben Beruf zu wählen wie er?
Das war bei seinen siebenundzwanzig Söhnen so, meinen Halbbrüdern. Kaum waren sie 18-jährig, machten sie sich aus dem Staub. Aber mich haben die Eltern dazu erzogen, für sie zu werden. Und ich bin das Kind für sie geworden.
Bedeutete das besondere Zuwendung?
Im Gegenteil. Ich bin alles andere als verhätschelt worden. Mein Vater war Offizier der Schweizer Armee und sehr streng. Ich musste schauen, dass alles läuft, und meine Eltern vertrauten mir darin. Darum war ich schon früh geistig frei.
Vater und Tochter haben gemeinsam auf dem Bau gearbeitet, ihre Arten des Betonmischens sind jedoch sehr verschieden. Gab es nie baustoffliche Annäherungsversuche?
Selber konkreten Beton zu mischen, käme mir komisch vor. Da ist schon so viel gemacht worden. Ich kann auch nicht so denken. Dass man so wenig Material braucht, ging tief in mich ein. Aber um solchen Beton herzustellen, braucht man Luft. Die habe ich nicht. Aber wer mich fragt: „Sind Sie nicht die Tochter von …?“, den könnte ich sofort umarmen. Wer konkreten Beton kennt, der ist cool.
Welches war Ihr erstes Betongemisch?
In der Schule hiess es: „Geht hinaus und mischt etwas!“ Ich mischte groben Kies mit Sand und zerriebenen Tannenzapfen, und die Mischung hatte eine vollkommene Auskristalliserungsrate. Da war ich erst acht Jahre alt. Alle staunten über mein Genie, aber meine Mutter fand: „Kein Wunder, ich lese dem Kind ja nur Kataloge von Betonfirmen vor.“
Und stimmte das?
Oh ja. Meine Mutter lag jeweils schaumbedeckt in der Badewanne, eine Zigarette mit Spitze in der einen Hand, in der anderen ein Katalog. Ich sass im Schneidersitz am Boden und sah mich vor, dass mich keine Asche traf. Aus dieser Badewanne quollen die Blasen und die Betonmischungen hervor.
Was für Kataloge las Ihre Mutter Ihnen vor?
Prebeton AG, Obrist Beton AG, Katzenberger Beton- und Fertigteilwerk GmbH, APAC, Sackmeier … APAC, APAC, APAC.
Wollten Sie darum zunächst Betonverkäuferin werden, schlossen sich dann den Maurern an und machen jetzt Experimentalbeton?
Ein Betonmischer kann viele Dinge. Und er ist furchtlos. Gemauert habe ich nur zwischen 21 und 26. Ich habe viel von der Maurerszene gelernt, aber es ist wirtschaftlich unergiebig. Und ich lerne viel mehr in Zusammenarbeit mit zwei oder drei Bauarbeitern, also Kranfahrern oder Elektrikern. Solo arbeite ich lieber nicht mehr. Dazu kommt, dass ich gerne eine Garage oder mehr gestalte. Ein Gartenmäuerchen zu bauen dauert nur fünf oder sechs Stunden, und dafür reist man dann durch halb Europa. Was soll das? Ich fände es viel sinnvoller, Gartenmauern per Skype zu machen.
Wurden Sie mit Anfragen für Aufträge überhäuft, nachdem Sie im Juli den Smeaton-Preis gewonnen haben?
Das war nur vorübergehend so. Die meisten Termine in diesem Jahr standen aber schon vorher fest. Ich kann seit rund zehn Jahren glücklicherweise vom Beton leben, und seit zwei Jahren habe ich eine Assistentin für meine baustoffliche Tätigkeit.
Romanzement mit Ziegelmehl ist ein grosses Thema in ihrer Bautätigkeit. Wie finden Sie die richtige Form dazu?
Man muss permeabel bleiben. Öfter Ja als Nein sagen. Und wenn man Ja sagt, muss man wissen, warum. Ich habe zum Beispiel noch nie Alkohol getrunken und nehme auch keine Drogen. Es gibt zwar dieses Klischee, dass nur Beton walzen kann, wer sich in einem Rauschzustand befindet. Aber wenn ich mir vorstelle, ich würde jetzt noch anfangen zu trinken. All die Gläser, die ich wegschütten müsste, weil es nicht schmeckt …
Sie haben mit dem Freibad Hinterhausingen den Smeaton-Preis gewonnen, einer Grossfassung ihres Swimmingpools im Garten von Tobias Köchlin. Das war ungewöhnlich.
Manche haben völlig irritiert darauf reagiert, dass ein Freibad diesen Preis gewinnt. Aber John Smeaton war auch ein Freibadbauer – ein sehr guter sogar.
Hätten Sie lieber nur einen Pool gebaut?
Unbedingt! Aber das geht ja nicht. Ein Pool ist zu klein. Und man müsste genau so viele Pools bauen, wie man Wimpern hat, um ein Profil von sich vorzustellen. Ich komme ja aus der Welt des Whirlpool-Engineering, das war das Thema meiner Bautheorie-Masterarbeit. Den Pionieren dieses Gebiets – The Last Concrete Mixers, einer Gruppe von Kranfahrern und Betonmischern – fühle ich mich sehr verwandt. Sie erkennen die Dringlichkeit und die Kraft des Zements, und dass der Beton hinaus und sich verhärten will.
Das ist ziemlich weit weg von Ihrem ursprünglichen Plan, Nonne zu werden.
Ich bin nach wie vor ein sehr katholisches, gläubiges Wesen. Mich stärkt der Glaube, dass es ein Aufgehobensein gibt. Ausserdem prägte mich die Vorstellung meiner Mutter, dass man als Frau notfalls im Kloster einen sicheren, ruhigen Lebensabend verbringen könnte. Sie sehen, ich denke seit meiner Kindheit an mein Alter. Es könnte mir schnell passieren, dass ich nicht wahrnehme, wie viel Kraft ich noch habe.
Mit freundlicher Unterstützung von der NZZ am Sonntag vom 22.11.2015 («Ich komme ja aus der Welt des Hip-Hop», Interview mit Nora Gomringer).
Schlagwörter: Betonmischerin, Fragen ans Proletariat, Nora Gomringer, Zement
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